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Umfrage zur Attraktivität der Innenstadt
Abwarten

Text und Fotos (7): Walter Budziak, 1.3.2019

Eine "undurchsichtige politische Situation" und eine "unnötig überzogene Grundsteuer" stehen obenan auf der Liste der "dringensten Probleme, die 2019 gelöst bzw. angepackt werden sollten". Mit 3,3 entsprechend mager geriet auch das durchschnittliche Gesamturteil auf einer Skala von 1 (= sehr schlecht) bis 10 (= sehr gut), mit dem Leserinnen und Leser dieses Magazins in einer Umfrage zum Jahresbeginn die Stadt Witten bewerten. Sieben Kriterien waren abgefragt worden, so die Attraktivität als Wirtschaftsstandort, die Attraktivität der Innenstadt, des öffentlichen Nahverkehrs und ganz allgemein auch die Wohn- und Lebensqualität. Mit der im Durchschnitt schlechtesten Gesamtnote 2,4 bleiben die öffentlichen Finanzen auf der Bewertungsstrecke.

Fußgängerzone Bahnhofstraße, Wochentag im Februar, Mittagszeit: Einkaufsmöglichkeiten in der Innenstadt

Die Note 1 ("sehr schlecht") bekommen neben der kommunalen Finanzlage in dem nicht repräsentativen Stimmungsbild [?]DatenbasisMit 90 Antworten liegt das Ergebnis der Umfrage über einem Wert, anhand dessen sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen qualitative statistische Aussagen ableiten lassen. Für eine wissenschaftlich begleitete Kulturstudie in Osnabrück mit rd. 160 000 Einwohnern (Wer nutzt welche Angebote, wann und warum?) in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt genügten dem Statistiker Prof. Dr. Reiner Niketta an der Universität Osnabrück 1995 70 Antworten für aussagefähige Ergebnisse. sonst nur noch die Aspekte "Attraktivität als Wirtschaftsstandort" und "Perspektiven im Städtevergleich" verpasst, wenngleich deutlich seltener. Beide Kriterien landen im Durchschnitt aller Bewertungen mit der Note 3,1 auch im unteren Drittel. Schlechter schnitten außer den öffentlichen Finanzen nur noch die "Attraktivität der Innenstadt" (2,7) und "Politische Gestaltungskraft" (2,9) ab.

Als weitere frei formulierbare Probleme stechen die Einkaufsmöglichkeiten in der Innenstadt und das Angebot günstiger kleinerer Wohnungen hervor. Was die allgemeine Wohn- und Lebensqualität aber offenbar wenig beeinträchtigt. Die Wohn- und Lebensqualität heimst als einziges Kriterium in Einzelbewertungen die Bestnote 10 ("sehr gut") ein und liegt mit der durchschnittlichen Gesamtnote 5,4 auch als einziges Kriterium in der oberen Hälfte der Bewertungsskala. Bestplatziert in der unteren Hälfte schneidet der öffentliche Nahverkehr mit dem Durchschnittswert 3,8 ab.

"Erhebungen" kein Grund für "bedeutende Schlüsse"

Kommentieren wollen weder die Bürgermeisterin noch die Pressestelle der Stadt die ermittelte Stimmungslage aufgrund "dieser wirklich dünnen Datenbasis". Eine entsprechende Anfrage wurde gar nicht erst weitergeleitet. Das "Zustandekommen" sei doch sehr stark vom Zufall abhängig, die "Erhebungen" reichten "bei weitem nicht aus, um daraus bedeutende Schlüsse zu ziehen", teilt Sprecher Helmut Sonder per Mail mit.

Gehört Abwiegeln und Bezweifeln zum Tagesgeschäft einer Pressestelle, ein Gang durch die Haupteinkaufsmeile Bahnhofstraße mittags an einem Wochentag im Februar legt nahe, auch die, die im Rathaus die Geschicke Wittens politisch steuern, trauen keiner Umfrage und offenbar auch nicht ihren Augen. Die Daumen-runter-Note 2,9 geben die Umfrageteilnehmer der politischen Gestaltungskompetenz der Wittener Ratsbänkler. Von den im Stadtrat sitzenden Parteien bezieht die Fraktion des Bürgerforums als erste Stellung. "Die Bewertungen", schreibt Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Jeremia Lechelt, "sind aus unserer Sicht ziemlich eindeutig - der hohe Wert bei der Wohn- und Lebensqualität hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass Witten in Bezug auf Wohnen vorortlastig ist." Ein Konzept zu einer lebendigeren Innenstadt ist daraus allerdings nicht erkennbar. Abwarten scheint ratsseitig auf den Parteifahnen zu stehen.

"Leider keine anderen Lösungsmöglichkeiten"

Hinnahme, wenig Konzeptionelles auch bei der SPD-Mehrheitsfraktion in der Regierungskoalition. Geschäftsführerin Susanne Linka räumt ein, das Ergebnis der Umfrage spiegele "natürlich die Probleme der Stadt wider". Es überrasche "natürlich überhaupt nicht, dass die städtischen Finanzen am schlechtesten beurteilt werden". Sie seien "mit Abstand das größte Problem". Auf die im bundesweiten Vergleich mit höchsten Grundbesitzabgaben eingehend, stellt sie fest: Niemand sei über die Höhe der Grundsteuer in Witten glücklich. Auch die Politiker müssten sie bezahlen. Die massiven Wittener Finanzprobleme, "die nicht selbst verschuldet sind", ließen "leider keine anderen Lösungsmöglichkeiten zu". Ohne eine Erhöhung der Grundsteuer wäre Witten "handlungsunfähig" geworden. "Der Stillstand, der dann eingetreten wäre, hätte das Leben in Witten gelähmt und noch schlimmere Folgen für die hier lebenden Menschen nach sich gezogen", so Linka.

Die Kritik an der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Witten sei "vor dem Hintergrund mangelnder Gewerbeflächen ebenfalls sehr gut nachzuvollziehen". Mit dem neuen Gewerbegebiet Drei Könige und später bei Bedarf am Vöckenberg seien jedoch "aktuell Weichen für Verbesserungen des Wirtschaftsstandortes Witten gestellt worden". Dass die Wohn- und Lebensqualität in Witten trotz der bestehenden Probleme "sehr positiv bewertet" worden sei, sei "erfreulich". Es zeige sich, dass "die Vorzüge" einer "kleinen Universitätsstadt am Fluss mit ihrem großen grünen Umfeld" geschätzt würden. Witten sei "eine lebendige Stadt", in der "vieles in Bewegung geblieben" sei, "trotz der Finanzprobleme", schwärmt die SPD-Amtsinhaberin abschließend.

Von Anfang an gegen den Standort von Kaufland an der Breite Straße

In einem "neuen nachhaltigen Innenstadtkonzept" sieht die Wittener Bürger Gemeinschaft (WBG) das Gebot der Stunde für mehr eigentümergeführte Geschäfte auch in der unteren Bahnhofstraße. Die Stadt müsse, "den stationären Einzelhandel stärken" und Ideen liefern für ein "kreatives Zentrum", sagt der 2. Vorsitzende Stefan Grafe. Das gehe nicht ohne einen attraktiven "Ankermieter", ergänzt Siegmut Brömmelsiek, der 1. Vorsitzende, der auch die zweiköpfige Ratsfraktion leitet. So sei die WBG von Anfang an gegen den Standort von Kaufland an der Breite Straße außerhalb der Innenstadt gewesen.

Eine "funktionierende Wirtschaftsförderung" kann die WBG in Witten mit Blick auf die desolate Haushaltslage der Stadt offenbar auch nicht entdecken, sichtbar gemacht mit einer "Schuldenuhr" auf der Internetseite der WBG und einem Plakat an der Bürowand "aus dem Haushaltsplan unserer Stadt" mit dem Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben als "Grundsatz der öffentlichen Haushaltsführung". Die "Gewerbeansiedlungspolitik" sei 30 Jahre alt, kritisiert Grafe (52), es fehlten "Kompetenzzentren" und Angebote für "digitale Dienstleistungen" oder andere "themenorientierte Gewerbeansiedlungen". 28,5 Hektar, rechnet der Diplom-Designer vor, würden als "Spekulationsflächen" zurückgehalten und stünden nicht zur Verfügung.

"Für sinnlose Gutachten Geld zum Fenster rausgeschmissen"

Dass der "Tauchturm", ein geplantes Tauchsportcenter auf dem ehemaligen Klärwerksgelände in Heven, Ende 2017 endgültig verworfen wurde, sehen die beiden WBG-Politiker ebenfalls als vergebene Chance. Als Projektkoordinator war Brömmelsiek einer der Initiatoren, als Privatmann und unentgeltlich, wie der heute 67-jährige pensionierte Feuerwehrmann seinerzeit betonte (WAZ, 10.11.2017). An anderer Stelle werde dagegen "für sinnlose Gutachten" wie das zur Bepflanzung des Kornmarkts "Geld zum Fenster rausgeschmissen". Der Rat bremse sich selber aus, moniert Brömmelsiek, "alle heben bei jeder Vorlage der Verwaltung brav die Hände hoch".


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