Die Bahnhofstraße demonstriert Eigentümlichkeiten der besonderen Art bei der Wittener Verkehrsregelung.
Straßenbahnen fahren tagsüber im 15-Minuten-Takt in beide Richtungen,
Radfahrer müss(t)en tagsüber von 8 bis 20 Uhr absteigen. Der Beschilderung nach
wäre aber Straßenbahnen zumindest Richtung Rathaus das Befahren der Bahnhofstraße gänzlich verboten.
Das Verständnis der befragten Passanten hält sich sowieso in Grenzen.
"Verbot der Einfahrt auf die Fahrbahn für Fahrzeuge" lautet die Bedeutung des Zeichens 267 der Straßenverkehrsordnung (StVO)
auch in der Neufassung von 2013 laut stvo2go. Ausnahmen: keine, anders als beim Zeichen 250 "Verbot für Fahrzeuge aller Art".
Der rote Kreis auf weißem Grund erlaubt "Handfahrzeuge, Reiter, Führer von Pferden, Treiber von Vieh, Führer von Vieh,
Geschobene Krafträder und Fahrräder".
Das Zeichen 267 stehe meist an der Ausfahrt einer Einbahnstraße und zeige Fahrzeugführern an,
"dass das Einfahren von dieser Seite verboten ist", heißt es im Mobilitätsmagazin von bussgeldkatalog.org,
das "VZ 267" stehe zudem an der Gegenfahrbahn von Autobahnauffahrten und häufig auch an Privatwegen.
Zusatzzeichen wie das Zeichen 1022-10 "Für Fahrradverkehr freigegeben" seien erlaubt.
"Bedürfnis und Menschenverstand des einzelnen Bürgers"
Nach § 45 Absatz 3 StVO "[...] bestimmen die Straßenverkehrsbehörden, wo und welche Verkehrszeichen
und Verkehrseinrichtungen anzubringen und zu entfernen sind [...]." Die Verkehrsüberwachung obliegt dem
städtischen Ordnungsamt und umfasst "den ruhenden und den fließenden Verkehr in Witten", so die offizielle Beschreibung auf den Internetseiten der Stadt.
Dabei gehe es dem Ordnungsamt "um die Einhaltung von 'Spielregeln', die im täglichen Miteinander dem ganz normalen Bedürfnis und Menschenverstand
des einzelnen Bürgers entsprechen sollten."
Die gegenüber der Einmündung Breddestraße aufgestellten Verkehrsschilder verbieten Fahrzeugen "die Einfahrt auf die Fahrbahn".
Fahrzeuge sind laut Rechtswörterbuch alle Fortbewegungsmittel – mit Ausnahme der in § 24 StVO
[?]§ 24 StVO
Besondere Beförderungsmittel
(1) Schiebe- und Greifreifenrollstühle, Rodelschlitten, Kinderwagen, Roller, Kinderfahrräder, Inline-Skates,
Rollschuhe und ähnliche nicht motorbetriebene Fortbewegungsmittel sind nicht Fahrzeuge im Sinne der Verordnung. Für den Verkehr mit diesen Fortbewegungsmitteln
gelten die Vorschriften für den Fußgängerverkehr entsprechend.
(2) Mit Krankenfahrstühlen oder mit anderen als in Absatz 1 genannten Rollstühlen darf dort, wo Fußgängerverkehr zulässig ist,
gefahren werden,
jedoch nur mit Schrittgeschwindigkeit. genannten -, die zur Beförderung von Personen oder Sachen dienen und am
Verkehr auf der Straße teilnehmen. Demnach verstoßen zumindest in Fahrtrichtung Rathaus an Wochentagen tagsüber pro Stunde Straßenbahnfahrer
vier Mal
gegen die beschilderte Verkehrsvorschrift, frühmorgens, abends und an Wochenenden dem Fahrplan entsprechend weniger. Dafür wäre laut
Bußgeldkatalag 2022 jeweils ein Bußgeld
von 25 Euro fällig. Wenn das Ordnungsamt seiner Pflicht zur Verkehrsüberwachung nachkäme. Selbst an Wochenenden dürfen lediglich Radfahrer
der Beschilderung nach zwischen 20 Uhr abends und 8 Uhr morgens von unten in die Bahnhofstraße einfahren.
Fahrverkehr in der Bahnhofstraße "eigentlich ein Unding"
Das Kuriose, fast Absurde des tagtäglich stattfindenden Bahnhofstraßenverkehrs erschließt sich jedem, der das Geschehen
auf Wittens unterer Einkaufsmeile an einem Nachmittag im September
etwas länger beobachtet. Straßenbahnen nehmen, besonders wenn sie sich begegnen, fast den gesamten Straßenraum ein,
Radfahrer fallen vor allem im unteren Bereich der breiten, wenig belebten Straße kaum auf. Wenn Fußgänger Platz machen müssen,
dann den Straßenbahnen, Radfahrer werden kaum beachtet.
Den als selbstverständlich und verkehrsrechtlich korrekt hingenommenen Fahrverkehr in der Bahnhofstraße findet Passant Jürgen U.
"eigentlich ein Unding", kann sich aber vorstellen, dass der Grund dafür, dass Radfahrer ihre Räder "die ganze Straße hochschieben" müssen,
in der Unfallgefahr liege, die bestehe, wenn Radfahrer mit ihren Rädern in die Schienen geraten.
"Nicht mehr Gefahr aus als von einer vorbeifahrenden Straßenbahn"
"Im Sinne der Sicherheit" sieht auch Katharina Jenkel die Vorschriften gerechtfertigt. Besonders in "Stoßzeiten" befürchtet sie
ansonsten Kollisionen zwischen Fußgängern und Radfahrern. P. Schmitz dagegen anerkennt zwar "den Anspruch der Straßenbahnen",
andererseits stimme "nach seinem Dafürhalten" die Verhältnismäßigkeit nicht. Wenn er "gewissenhaft kontrolliert" mit dem Fahrrad
kaum schneller als ein Fußgänger die Bahnhofstraße "runterrolle", gehe von ihm "nicht mehr Gefahr aus als von einer vorbeifahrenden
Straßenbahn". Besonders auf Trassen, auf denen auch Straßenbahnen führen, sei auch das Radfahren zu gestatten, sagt Schmitz.
Simon Sommer kann die Fahrverkehrregelung in der Bahnhofstraße "im Sinne des Verkehrsschutzes nachempfinden", er fände es dennoch "sinnvoll,
wenn hier Fahrräder im Schritttempo
fahren dürften", und wünscht sich "im Sinne der Verkehrswende" sogar, "dass Fahrräder überall bevorzugt gegenüber anderen
Fahrzeugen fahren dürfen".
Gerne würde auch Christiane Schlieker-Erdmann mit ihrem Fahrrad aus Heven kommend "hier über die Bahnhofstraße fahren", allerdings
immer nur so, "dass die Fußgänger nicht gestört werden". Sie könne auch laufen, "aber ich finde es schade", bedauert sie die geltenden Fahrverbote
für Radfahrer.
Ausnahme für "Radler*innen" in den Nachtstunden
"Eine*n Gesprächspartner*in könne er "leider nicht organisieren", teilt Pressesprecher Jörg Schäfer aus dem Rathaus
per Mail mit und verweist auf "die Fakten": Die Bahnhofstraße sei eine Fußgängerzone. Das Ziel sei, dass Fußgänger*innen sich frei
bewegen können und sich sicher fühlen.
Den fahrenden Verkehr wolle man daher "möglichst raushalten". In einem "begrenzten Zeitraum" habe man allerdings Lieferverkehr erlaubt,
und zwar für die Zeit zwischen 7 und 11 Uhr. Eine weitere Ausnahme gebe es für Radler*innen in den Nachtstunden.
Zwischen 20 Uhr und 8 Uhr dürften sie in der Bahnhofstraße fahren, "allerdings nur in Schrittgeschwindigkeit und mit
Rücksicht auf Fußgänger*innen."
Ständig und häufig Fahrzeuge aller Art
So weit, so amtlich. Beschildert ist diese Festlegung mit dem dazu erforderlichen Verkehrszeichen 242.1 "Beginn einer Fußgängerzone"
am unteren 'Haupteingang' gegenüber der Einmündung Herbeder Straße allerdings nicht. Besonders ortsunkundigen Fußgängern
dürften die Annehmlichkeiten dieses fahrverkehrfreien Bereichs verschlossen bleiben, zumal ständig und häufig Fahrzeuge aller Art
auch außerhalb jeglicher zeitlicher
Lieferverkehreinschränkungen die untere Bahnhofstraße aus der Einmündung Breddestraße kommend befahren.
Die für den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) in Witten sprechende Susanne Rühl beantwortet eine Anfrage
nach einer Stellungnahme mit einem Verweis auf ihren derzeitigen Urlaub. |
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