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AUS ALLER WELT
Reihe "Witten woanders": Witten in Holland
Kirche, Kaserne, Camper - Heimat der Invasoren

Text und Fotos (16): Walter Budziak, Okt. 2017

Der Beschluss des Assener Bürgermeisters, die "Verwendung von alkoholischen Getränken (...) in Flaschen, Dosen und dergleichen an einem öffentlichen Ort" zu verbieten, trat am 24. Mai 2011 in Kraft und betraf auch das "Stadtgebiet III: Witten und Umgebung". An den Wittenern selbst dürfte diese rigide Vorschrift nicht gelegen haben. Eher an Nutznießer. Nach Kirche und Kaserne bringt heute der TT Circuit Assen, Austragungsort der Motorrad-Weltmeisterschaft, Leben in die kleine Bauernschaft (holländisch: Buurtschap) und schwemmt jedes Jahr Massen von Campern heran.


Kirche, Militär, Sport, Motorsport, um genau zu sein, markieren den Zeitlauf in Witten jenseits der Grenze zu Holland.

In den Besitz der Nonnen des Zisterzienser-Klosters Mariënkamp in Assen geriet die Ansiedlung im 13. Jahrhundert. Die Urkunde einer ritterlichen Schenkung datiert von 1294. Nach der Reformation musste sich die Abtei dann 1602 besitzlich verabschieden. Während der darauf folgenden 300 Jahre wirtschaftete die Bauernschaft unter - nach heutigen Maßstäben - kommunaler Verwaltung der Provinz Drenthe. In dieser Zeit entstanden auch einige amtliche Karten wie die Nebenstehende, in Leinen Gefasste von 1709 mit genauen Angaben der Flächengrößen [?]QuelleDrents Archief, Assen. Die Übergabe der damals acht Höfe in bis heute bestehenden Privatbesitz erfolgte 1796. Die vielleicht größte Veränderung der Wittener Dorfstruktur erfolgte knapp 100 Jahre später, was der einstigen klösterlichen und bäuerlichen Ruhe gehörig zusetzte.

466 Hektar Sperrgebiet

Die Kaserne, die nach 1890 in Assen gebaut wurde, benötigte auch einen Truppenübungsplatz mit Schießstand. Und der wurde in der Witterheide angelegt auf einem zum Sperrgebiet erklärten Areal von gut 466 Hektar [?]QuelleJan Eefting, Witten: eeuwenlang grootgrondbezit, Asser Historisch Tijdschrift, Februar 1991, Foto: collectie Martin Hiemink, Assen, 1937. Damit verlor die Dorfgemeinschaft ihren Einfluss auf einen großen Teil ihres Gebiets. Und musste einiges an Lärm, Gestank und Lkw-Verkehr wegstecken. Wie immer in ihrer Geschichte behielten die Wittener einen holländisch kühlen Kopf. 1993 kämpfte die Assener Jagdkompanie in der Witterheide ihr letztes Übungsgefecht. Danach besetzten Tontaubenschützen und Segelflieger das Gelände. Aber nur kurzzeitig. Die Witterheide ist heute ein Naturschutzgebiet.

Vielleicht war das Ende der militärischen Beschlagnahme den Wittenern aber gar nicht so wichtig. An Invasionen sind sie gewöhnt, spätestens seit 1925 das erste Motorradrennen vor den Toren des Dorfes, damals noch auf öffentlichen Straßen, ausgeknattert wurde. 1955 gingen die Rennfahrer erstmals auf einer eigens angelegten Rennstrecke an den Start. Wie bei der Kaserne 70 Jahre zuvor liegt auch die Motorradarena nicht auf Wittener Gebiet. Dafür aber viele Campingplätze im Einzugsbereich. Und die werden bevölkert, besonders wenn der Große Preis der Niederlande hinter der Ziellinie der WM-Strecke wartet.

Verschanzen oder verreisen

100 000 Zuschauer finden auf den Tribünen des TT Circuit Assen Platz, der laut Wikipedia weltweit einzigen Rennstrecke nur für Motorräder. Der Sturm auf die Campingplätze setzt meist Tage vor den Rennen ein und ebbt auch erst Tage nach den Rennen wieder ab. Die Campingplatzbetreiber frohlocken, die anderen Wittener verschanzen sich in ihren Häusern. Oder sie verreisen, wie Jan Albers bestätigt. Der Gärtner wohnt selbst nicht in Witten, aber er ist von der Straße aus der einzige ansprechbare Mensch an diesem grauen Junimorgen. Und er mäht ihre Rasen, gießt ihre Blumenbeete, stutzt die Äste ihrer Bäume.

Anders als in Wityń oder Víteň wohnen im holländischen Witten vornehmlich Leute, die sich, einige in der dritten, vierten, fünften Generation, ein denkmalgeschütztes Anwesen mit parkähnlichen Gärten und alten Baumbeständen leisten können. Die als Ärzte oder Ingenieure in Assen oder Groningen arbeiten, die in der Öffentlichkeit niemals Alkohol trinken, die ihre Gärtner fürs Arbeiten bezahlen und nicht fürs Quatschen. Nach wenigen knappen Sätzen greift Jan Albers wieder zu seiner Astschere.


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