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STADTLEBEN UND STADTGESELLSCHAFT
Kulturelle Vielfalt
Das "Trotz" sucht neue Bleibe

Von Walter Budziak

Im Wiesenviertel gedeihen Ideen und Projekte einer kreativen, lebenswerten Urbanität. An anderer Stelle kämpft eine andere Wittener Kulturinstanz bisher vergeblich um eine neue Bleibe. Die Unterstüzung der Bürger hält sich in Grenzen. Der Verein macht aber weiter: "Trotz Allem".


Teamsitzung im Abstellraum: "Die Regelmäßigkeit fehlt." - Foto: wab
"Wir wollten immer schon mehr machen, als wir konnten", bringt Paul Humbert (26, 2. von re.) die turbulente Geschichte des Soziokulturellen Zentrums Witten mit dem Namen "Trotz Allem" sofort auf den Punkt. So eingeschränkt wie zur Zeit haben er und seine Mitaktiven sich aber selten gesehen. Seit 1. Oktober steht die Initiative, die 16 Jahre das alternative soziale und kulturelle Leben der Stadt mit geprägt hat, auf der Straße.

Mit dem Literaturwissenschaftler an der Uni Bochum, Lasse Wichert (36, 2. von li.), gehört Humbert zum Vorstand des "Vereins zur Förderung der sozialen Kommunikation und kulturellen Stadtteil- und Jugendarbeit e. V.", bei dem alle Fäden zusammenlaufen, von dem alle Impulse ausgehen.

Wie etwa die "Anarchistische Gruppe Östliches Ruhrgebiet", die Utopien in konkretes (Um-)Denken und Handeln überleiten will, oder "Grenzfrei", eine Initiative, die das Thema Verständigung mit den Geflüchteten in Europa antreibt, die seit 2011 Spenden für die inzwischen abgerissene Migrantensiedlung in Calais sammelt, Benefizkonzerte, Podiumsdiskussionen und Vortragsreihen organisiert. Auch hier mit Herz dabei: die Sozialpädagogin Esther Stabenow (37, re.) und Roxane Schnepper (22, li.), Studentin der Philosophie, Politik und Ökonomie an der Universität Witten/Herdecke.

"Die Regelmäßgkeit fehlt"

Lassen sich die Konzepte und Aktionen des Muttervereins und seiner Töchter auch am Küchentisch oder in der Mensa schmieden, das "Trotz" braucht ein festes Dach über dem Kopf. Hier treffen sich nicht nur andere politische, kulturelle oder ökologische Initiativen, entwickeln Strategien, planen Aktionen, veranstalten ihre Workshops, hier werden Vorträge gehalten, hier lädt jeden Monat das "Sonntagscafé" zu Gesprächen und Diskussionen ein, hier finden Rapper und Rock'n Roller ihr Publikum.

Hier residiert auch die Gustav-Landauer-Bibliothek Witten, eine in der Region einzigartige Sammlung mit Schriften des "links-alternativen Spektrums" aus Themenbereichen wie Antifaschismus, Friedens- oder Genderpolitik.

Alles musste raus. Ohne Vereinsräume kein Podium, keine Bühne, keine Tanzfläche, kein Lesesaal. "Die Regelmäßgkeit fehlt", beschreibt Lasse Wichert die aktuelle Lage, die den Verein hindere, an sein bisheriges kreatives Kulturschaffen anzuknüpfen. Die Bibliothek nebst sonstigem Vereinsmobiliar lagert im Keller der Wittener Werkstadt.

Politische Unabhängigkeit wichtiger als Fördergelder

Auf den Wittener Kulturplan getreten war das "Trotz Allem" 1999 in Herbede. Das städtische Bauamt, die GEMA, die immer höhere Gebühren verlangte, und geräuschempfindliche Nachbarn zwangen jetzt zum Schließen des letzten Standorts an der Augustastraße. "Wir haben es aber aufgegeben, die Schuld auf andere zu schieben", sagt Wichert. Ihm und den anderen fehle zwar der politische Wille des Stadtrats, eine Kulturinitiative wie das "Trotz" zu unterstützen, manche Politiker äußerten sich auch wohlwollend, "aber nix passiert", sagt der Vereinsvorsitzende.

Erfahrungsgemäß folge, wenn eine Stadtverwaltung etwas bezuschusse, immer auch das Bestreben, Einfluss zu nehmen, mitzubestimmen. Und da sei dem "Trotz" die politische Unabhängigkeit ohnedies wichtiger, als Fördergelder anzunehmen. Der Vorstand lehne ab, sich "Konzepte absegnen lassen zu müssen", betont Paul Humbert den trotzigen Kern des Vereins. "Bei uns bestimmen die Leute, die kommen, das Programm."

Kunstauktion im "Unicat"

Selbstverwaltung und kommerzielle Abstinenz stehen ganz oben auf der Satzungsliste. Keine Eintrittsgelder, Getränke gegen Spenden, keine Ausleihgebühren in der Bibliothek, an diesen Grundsätzen wollen die "Trotz"-kisten nicht rütteln. So suchen sie weiter nach geeigneten Räumlichkeiten, etwa 200 qm groß, möglichst zentral gelegen und "kulturveranstaltungsgeeignet". Hohe Kosten kann das spendenfinanzierte Budget auch nicht stemmen. "Das wird ein hartes Stück Arbeit", weiß Humbert.

Derweil wollen die "Trotzler" beharrlich auf sich aufmerksam machen, als Veranstalter externe Kulturbeiträge liefern, Spenden sammeln und mit einer Versteigerung bei einer Kunstauktion im "Unicat" in Witten etwas Geld einnehmen. Treffen finden bis zum Einzug in eine neue Bleibe jeden Donnerstag abend im "Brauhaus" an der Wiesenstraße statt. Ansonsten muss auch mal ein Abstellraum reichen.